Unter den Holzfällern
Im nördlichen
Tim
war klein und bucklig, besaß aber lange, kräftige
Arme. Aus der verkrüppelten Gestalt mit dem verfilzten, dunklen Kopf- und
Barthaar blickte ein freundliches, ja kluges Gesicht zu Raymond auf, der erst kürzlich
in das Lager gekommen war. Raymond war jünger, groß und
breitschultrig und hatte einen aufrechten, stolzen Gang. In seinem hübschen, markanten Gesicht blitzten stahlblaue Augen.
“Ray, du hast viel, wofür du dankbar sein kannst.” “Ich ?” “Ja, du.” Fröhlich überhörte Tim die Verachtung,
die in der Stimme des anderen mitschwang. “Ich weiß zwar nicht, was in den
wenigen hinter dir liegenden Jahren geschehen ist,
noch was jemanden wie dich hierher verschlagen hat, aber du bist ehrlich und
stark, du hast etwas gelernt, und du hast eine Chance gehabt, Ray.” Sie waren in einer Lichtung angekommen. Tim
warf seinen Mantel ab, griff sich eine Axt und begann mit wuchtigen Schlägen
eine hohe kiefer zu fällen. Raymond stand
gedankenverloren daneben. Eine Chance ? Ja, die hatte er gehabt, und er hatte sie weggeworfen. “Das
ist ganz allein meine Angelegenheit”, sagte er sich und versuchte den Rat
seines alten Vaters zu vergessen. “Ja, ich bin jetzt
frei von dem alten Aberglauben, doch manchmal frage ich
Raymond war vor drei Wochen im Haskin-Camp angekommen. Seine Arbeitskollegen sahen
sofort, daß er nicht einer der ihren war.
Tim gehörte seit vielen Jahren zum Trupp. Trotz seiner Schwerfälligkeit
und körperlichen Behinderung war er allgemein beliebt. Zu
aller Ueberraschung schien er sich zu dem großen Raymond hingezogen zu fühlen.
Diese Neigung drückte er in vielen unauffälligen Gesten aus,
sodaß der junge Mann ihn freundlich duldete. Das
Erntedankfest kam. An jenem Morgen erwachte
Raymond aus einem unruhigen Schlaf. Die ganze Nacht hindurch hatten ihn in
seinen Träumen Bilder aus der Vergangenheit verfolgt. Es schneite heftig, denn
der Winter war bereits in dieses
“Ich
glaube, es geht zu Ende mit mir, Jungs”, brachte er hervor, bemüht, seine
Stimme zu beherrschen. “Ray, bleib bei mir. O, seid vorsichtig !” Sie
trugen ihn ins Lager. Ein Mann wurde zu Pferd nach
einem Arzt in den nächsten Ort geschickt, der über 30 km entfernt lag. Alle befürchteten, Tim würde vor dem Eintreffen des Arztes sterben,
denn er litt furchtbar.
Als
man ihn auf eine primitive Koje neben dem großen Ofen gebettet hatte, sah er
traurig zu seinen Kameraden auf: “Das ist der Tod, Leute. Sagt mir was von
Gott. Über ihn hat noch nie jemand mit mir geredet.” Ein sonderbares Schweigen legte sich auf die
versammelten Männer, ein Schweigen, das nur von dem
Heulen des Windes draußen unterbrochen wurde. Tim setzte wieder an:”Ray, sag es
mir, du mußt doch etwas wissen. Du bist so anders als
wir.”
Alle Blicke richteten sich auf den jungen Mann. Der beugte sich tiefer über
Tim und fragte: “Was genau willst du denn hören ?” “Alles über Ihn. Ob
Er wohl zornig ist, weil ich ihm nie gedankt habe? Weißt
du, ich bin so unwissend, und
–
All dies schoß ihm in einem Augenblick durch den Kopf. Dieser sterbende Mann
bat ihn, zu beten. Ein Stöhnen kam von Rays Lippen:
“Tim,
ich kann nicht, ich…” Er hielt inne, unfähig zu sagen, daß er nicht an den Gott glaubte, zu dem selbst Tim in seiner
Sterbestunde gefunden hatte. “Du kannst nicht? Warum? Ich dachte, du würdest Ihn kennen. Du hast doch eine Chance
gehabt!” Mehr konnte Raymond nicht ertragen. Er wandte
sich ab und stürzte hinaus in den Sturm. Stundenlang irrte er durch den
weglosen Wald,ohne auf den Wind und das Schneetreiben
zu achten. Direkt damit konfrontiert, rang er mit dem
Problem der Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer. Raymond
Lee war allein mit Gott. In dieser Stunde fielen alle seine stolz
vertretenen Vorbehalte von ihm ab. Die materialistischen Theorien, auf die er
sich gestützt hatte, zerbrachen unter ihm. Zurück blieb nur ein sicheres Fundament.
In
dem Raum, in dem Tim lag, begann es schon dunkel zu werden, als
sich die Tür öffnete und Raymond eintrat. Mit festen Schritten ging er auf den
Sterbenden zu.
“Tim, ich bin Gott begegnet. Er hat mir Sünder vergeben, und ich bin gekommen,um dir von seiner Liebe zu erzählen.” Liebevoll erklärte er Tim mit einfachen
Worten, wie sich die Liebe Gottes darin zeigt, daß er seinen geliebten Sohn in
die Welt sandte, damit er anstelle der Sünder sterbe und so die Sünden all
derer trage, die ihr Vertrauen auf ihn als ihren Retter setzen. “Gott aber
erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.” (Roemer5, 8)
“Das
Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde.” (1.Johannes 1, 7)
Andere sammelten sich um das Bett. Konnten sie noch an
der Wahrheit der gehörten Worte zweifeln, als sie das Leuchten in Tims Augen
sahen? “Ich verstehe”, hauchte der. Raymond kniete nieder.
Einer dieser rauhen Männer, dann noch einer folgten. Nie zuvor hatte Raymond so gebetet wie in dieser Stunde. Gott war mit ihm. Inmitten von Menschen, die – wie Tim es
ausdrückte – “noch nie eine Chance gehabt hatten”, brachte er seine Bitten vor
Gott in der völligen Glaubensgewißheit, daß Er bereit war, zu erretten. “Es ist
alles gut”, flüsterte Tim. “Ich gehe zu IHM”, brachte der Sterbende mit letzter
Kraft über die Lippen, und wenige Augenblicke später war alles vorüber.
Raymond
wandte sich seinen Arbeitskollegen zu: “Tim hat uns verlassen, und ich habe den
Dienst wieder aufgenommen, den ich vor vielen Jahren Gott gelobte. Ihr seid
Zeuge meines Versprechens an Tim. Wollt
ihr mir meine Haltung euch gegenüber vergeben, und
Ehe
sich Raymond an diesem Abend schlafen legte, schrieb
er einen langen Brief an seinen Vater. Er wolle bleiben wo
er war, bis er eine Antwort erhielte. Am nächsten Abend
hielt er eine Versammlung, in der er von Jesu Leben, Tod und Auferstehung
berichtete. Der dritte Abend kam. Am Ende von Raymonds
belehrender, aber ergreifender Ansprache öffnete sich die Tür, und ein großer,
hagerer Mann mit schneeweißem Haar trat ein. “Vater!” “Mein Sohn! Ich bin gekommen, um dir zu
helfen.” Raymond Lee lag
seinem Vater in den Armen. Die begonnene Arbeit im Haskin-Camp wurde
fortgesetzt, bis schließlich siebzig Menschen den
Herrn Jesus als ihren Heiland fanden.